Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit. Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Selbstverschuldet ist diese Unmündigkeit, wenn die Ursache derselben nicht am Mangel des Verstandes, sondern der Entschließung und des Mutes liegt, sich seiner ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Sapere aude! Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!
Immanuel Kant
Ein Kommentar von Gert Bachmann
Wir stehen im tertiären Bildungssektor Österreich derzeit vor einer kaum wahrgenommenen, aber dennoch dramatischen Inflation und Hohlheit der Begrifflichkeit bei einer gleichzeitigen Verwahrlosung der geistigen Substanz der Universitäten. Ein Umstand, der wohl am treffendsten mit dem Begriff einer „rückläufigen Aufklärung“ beschrieben werden könnte. Kaum jemand thematisierte dies treffender als Konrad Paul Lissmann in seiner „Theorie der Unbildung“, ein Buch, dass m.E. in den Schulen als Pflichtlektüre in den Unterricht aufgenommen und an der Universität kostenlos verteilt werden sollte. Auch wenn darin keine unmittelbar leicht umsetzbaren Alternativen aufgezeigt werden, sind die fatalen Mechanismen doch überdeutlich formuliert und es besteht Handlungsbedarf. Sicherlich haben viele von uns dergleichen Klagen bereits bis obenhin satt, doch Lethargie schützt nicht vor nachhaltigem Schaden.
Denn längst stehen kurzfristige Schwerpunkt-Hypes und verkaufstechnisch begabte Akteure im Vordergrund der Weichenstellungen. Gründliche, kontinuierliche wissenschaftliche Arbeit und Erweiterung des Wissens und seine Vermittlung an eine Mehrheit der für ihre eigene Zukunft und jene der Erde mitverantwortlichen Bevölkerung, also die alten Ideale der Aufklärung, sind sekundär bis bedeutungslos geworden.
Ein „überaus exzellenter“, in den „exzellentesten Journalen“ „Papers mit höchstem Impact“ platzierender Akteur wird derzeit wesentlich höher bewertet als ganze Grundlagenfächer. Sollte ein Lehrstuhl nach gängigem Gestus mit einem weniger exzellenten Professor besetzt gewesen sein, wird dies ohne weiteres als Grund genügen, diesen Lehrstuhl nicht mehr nach zu besetzen anstatt die Bedeutung eines Faches vor die der Person zu stellen. Was im Gegensatz zu einer möglichst alle geistes-, sozial- und naturwissenschaftlichen Fächer abdeckenden (eben universalen) Universität früher eben eine Akademie oder eine Hochschule mit klar definierten Agenden war, ist heute ebenfalls eine Universität.
Dies führt dazu, dass es schlechterdings bedeutungslos erscheint, in den als „alt“ empfundenen Universitäten ein Fach nach dem anderen mit fadenscheinigen Begründungen und fragwürdigen Evaluierungen als „wenig erfolgreich“ zu deklassieren und damit in den „autonomen“ Universitäten dem freien Konkurrenzkampf auszuliefern und dann mit einem bedauernden Achselzucken der Entsorgung an die Konkursmasse der Nomenklatura der Exzellenz zuzuleiten. So bleibt die Kostenneutralität, ein Lieblingswort und zentrales Dogma der universitären LenkerInnen, gewahrt.
Die Revolution frisst ihre Kinder, hieß es im nachrevolutionären Frankreich. Die Universitätsreform zerstört die zweckfreien Fächer, drängt sich heute auf. So wird auch ruchbar, dass die Biologie an der Universität sogar um Glashäuser und Freilandflächen wird kämpfen müssen, denn diese stehen auf der Einspaarungsliste des (Vice)Rektors offenbar ganz oben, ist doch die Exzellenz der bisher erwirtschafteten Papers im Vergleich mit „überaus Exzellentem“ in Frage gestellt worden. Mehr dazu und zur Zukunft der organismischen Biologie unter wikigarten (Link existiert nicht mehr, Anm.d.Red.).
Mit Förderung kann heutzutage nur noch dann gerechnet werden, wenn nach gängigem Gestus „überragende Exzellenz“ bescheinigt wird und gleichzeitig die Einbringung von Drittmitteln nachgewiesen wird. Es wird nicht mehr frei geforscht und gelehrt, es werden „überaus exzellente Papers produced“ und die Lehre hat einzig den Zweck, gleichgeschalteten Nachwuchs zu diesem Zweck heranzubilden. Auch die Evangelischen und Katholischen Fakultäten werden per Entwicklungsplan angehalten, doch ihr Drittmittelaufkommen zu verstärken. Widerspruch gab es keinen, denn wer will sich schon als unexzellent outen? Im Klartext: Geld und Ruhm sind die obersten Prämissen. Im offenkundigen diametralen Gegensatz dazu steht der Wortlaut des Akademischen Eides, welcher das Streben der Universitäten einst bestimmte, und den ALLE derzeit aktiven Universitätenlenker ja wohl leisteten: „…die edlen Wissenschaften unermüdlich zu pflegen und zu fördern, nicht um des schnöden Gewinnes oder eitlen Ruhmes willen, sondern auf dass die Wahrheit weitergegeben werde und ihr Licht, worauf das Heil der Menschheit beruht, heller erstrahle…“, soweit die alten Prämissen.
Das Problematische dabei ist ja nun nicht die an sich wünschenswerte Qualität, die hier gefördert wird, sondern die damit dogmatisch verknüpfte Junktimierung des Abbaus der traditionellen „weniger erfolgreichen“ Fächer, welche großteils gleichwohl Grundlage der neuen Exzellenz waren, und der Abbau aller universitären Strukturen, von denen unbewiesen und unevaluiert, ja vielfach widerlegt, behauptet wird, sie wären der neuen Exzellenz nicht förderlich. Besonders problematisch ist auch, dass die Strukturen zur transparenten und strukturierten Diskussion solcher Entwicklungen im derzeitigen UG/OrgPlan rigoros abgeschafft wurden. Diese Dynamik bleibt nur deshalb aufrecht, weil eine künstliche Verknappung aufrechterhalten wird. Österreich gibt für die Universitäten bloß halb so viel aus wie das mittlere europäische Umfeld. Während das Rektorat dennoch beteuert, eine vorteilhafte Zielvereinbarung mit dem Ministerium abgeschlossen zu haben, fehlt es weiterhin an basalen Mitteln für die Lehre, die Betreunungsverhältnisse sind katastrophal. Hier wird mit marktwirtschaftlicher Argumentation (studentischer Bedarf = mindestens 15 Prüfungen) der heiligen Kostenneutralität u.a. fragwürdigen Sachzwängen gearbeitet. Wir müssen uns alle nach der Decke strecken, so der Killerargument-Stehsatz. Wer definiert die Decke? Doch wohl der „rollierende“ Entwicklungsplan. Wer evaluiert diesen? Die „scientific advisory boards“, die crème de la crème der Excellenz? Wo kann man/frau dies nachlesen? Oder kann die Lektüre solcher Evaluationen den einfachen Universitätsbediensteten intelektuell nicht zugemutet werden?
Neben dem Personal ist die Lehre das wichtigste Ventil zur Bewässerung oder Austrocknung von Fächern: Weniger Lehre bedeutet weniger Absolventen, weniger Interessenten für Projektmitarbeit, weniger Publikationen, weniger Excellenz. So bleiben der gegenseitige Konkurrenzdruck und die wachsende Entsolidarisierung aufrecht. Ein zynisches anmutendes Spiel mit der Gruppenpsychologie der im austrocknenden Teiche um das Überleben Kämpfenden ist die Folge. Hauptsache, die Universität kann nun eigenen Kapitalertrag verbuchen. Dass das Gesamtbudget der Universität geringer ist als 1999, ist offenbar längst vergessen (nach Valorisierung).
Parallel mit dieser Abrüstung der Universitas gehen eben die Entdemokratisierung und der Rückbau der bisher üblichen Diskussionskultur und Entscheidungstransparenz. Die ganze Belegschaft der Universität scheint gleichgeschaltet worden zu sein.
Die ganze Universität? Nein! Ein unbeugsames Grüppchen von UniversitätslehrerInnen leistet noch Widerstand: Unlängst kam es an der Fakultät für Lebenswissenschaften zu einer unschönen Szene. Die Gruppe der emeritierten ProfessorInnen, das s.g. wissenschaftliche Beraterforum, verfasste ein Memorandum zum Schutz der Grundlagenfächer. Dies wurde in der Fakultätskonferenz von bekannten Standard- Kolumnisten scharf verurteilt. Die Emeritierten sollten sich aus der Tagespolitik heraushalten und bloß „kulturellen“ Themen zuwenden, der Name “Beraterforum“ sei in einen „Altenrat“ oder einen „Klub der Fakultät“ umzuwandeln oder widrigenfalls das Gremium ganz zu beseitigen und den Proponenten sei ein Verweis zu erteilen. Darüber wurde mit bloß einer Gegenstimme (der Autor dieser Zeilen) positiv abgestimmt! Man mag zur Einmischung „alter Menschen mit alten Vorstellungen“ in die Tagesarbeit und -politik mit Recht kritisch stehen, aber es schadet nicht, das Memorandum zumindest einmal im Original nachzulesen (was die wenigsten Abstimmenden getan hatten - es war ja entgegen dem Wunsch der „Alten“ nicht verlesen worden), denn der Inhalt ist offenbar noch vom akademischen Eide beseelt. Allerdings gibt es fallweise einen Hoffnungsschimmer: nach heftiger Diskussion um eine neue Geschäftsordnung (lewigowiki, Link existiert nicht mehr, Anm.d.Red.) einigte sich die Fakultät für Lebenswissenschaften letztlich darauf, sich zur Geschäftsordnung für Kollegialorgane der Universität Wien (Senat) zu bekennen. Es ist zu hoffen, dass andere Fakultäten nachziehen, um den Aufbruch aus der weit überzogenen neuen Unmündigkeit zu schaffen, gerade jetzt, wo der neue Entwicklungsplan ensteht und der Organisationsplan evaluiert werden soll.
Oder, wie es von berufener Stelle verlautete: „Die Universität Wien soll wieder das werden was sie schon einmal war: Dreh- und Angelpunkt für den von Zentraleuropa ausgehenden wissenschaftlichen Diskurs.“
(Magnifizenz Georg Winckler an den Betriebsrat, Februar 2007)
Gott schütze Die Universität!
Ass. Prof. Dr. Gert Bachmann, im Juli 2006
Betriebsrat des wissenschaftlichen Universitätspersonals (ULV)