Stellungnahme des gesamtösterreichischen UniversitätslehrerInnenverbandes zur Studieneingangsphase
Vorbemerkung
1. Eine „Studieneingangs- und Orientierungsphase“ ist funktional kaum als Teil des betreffenden Studiums selbst zu verstehen. Die Autoren der Regelungen, wie sie derzeit gehandhabt werden, haben auf diese Funktionalität nicht ausreichend Bedacht genommen. Die STEOP kommt letztlich im Prozess der Studienwahl zu spät, es ermangelt ihr an Flexibilität und sie bedürfte einer grundlegenden Neugestaltung.
2. Was die konkrete Ausgestaltung und geübte Praxis betrifft, so folgt vor dem Hintergrund des Eingangsstatements die ausführliche kritische
Stellungnahme
Der ULV erlaubt sich seine Erfahrungen mit der sogenannten STEOP nach dem ersten Semester mit der flächendeckenden Umsetzung der Studieneingangsphase (mit Ausnahme jener Studienrichtungen mit eigenen Zulassungsverfahren) darzustellen. Die Legitimation für diese Ausführungen liegen in dem Umstand, dass wir „Lehrenden“ die oft überhasteten und nicht durchdachten Novellen des Studienrechtes als Dienstpflicht exekutieren müssen und oft in die – nachvollziehbare – Sandwichposition zwischen den durchaus unterschiedlichen Interessen der AkteurInnen der Universitätspolitik geraten.
Viele Studienrichtungen hatten eine sinnvolle, über Jahre entwickelte Eingangsphase über zwei Semester ohne Knock-Out Prüfungen etabliert. Diese Eingangsphase vermittelte grundlegende Inhalte über zwei Semester verteilt, in der Regel auf Basis eines Mustercurriculums (einem Vorschlag der idealen Abfolge der Lehrveranstaltungen wegen der inneren Verbundenheit). Dieses Eingangsjahr ließ den (meisten) Studierenden genug Zeit, sich zu orientieren.
Nunmehr wird ihnen in der Anpassungsphase an der Schnittstelle zwischen Mittelschule und Universitäten keine Zeit gegeben, sich zu adaptieren und ihre Studienwahl zu überlegen und prüfen, ob sie nicht nur über die entsprechende Neigung, sondern auch ob sie über die erforderliche Eignung verfügen oder sich allfällig Vorkenntnisse aneignen müssen. Sie sollen so rasch wie möglich ein Studium angehen, das vor allem dem wirtschaftlichen Bedarf entspricht und sie für den Arbeitsmarkt bereit macht. Fehler werden nicht toleriert, Ausprobieren ist nicht möglich, Umwege werden mit Ausschluss bedroht. Das Bologna-System verschärft die Eingangs- und Anpassungsphase noch zusätzlich. Abgefragt werden vor allem Stressresistenz und Leistungsfähigkeit unter Druck – die Vorbereitung auf den Arbeitsmarkt?
Freilich gibt es trotz der von den Universitäten angebotenen und vielfältigen Beratungen und Informationen zu den verschiedensten Studienrichtungen immer noch eine hohe Anzahl von Studierenden, die völlig falsche Vorstellungen bezüglich bestimmter von ihnen favorisierter Studiengänge haben. Aber ist das wirklich vorwerfbar? Müssen junge Menschen in einem Alter, in dem die Studienberechtigung im sekundären Bildungssystem durchschnittlich erworben wird, wirklich über die unzähligen und vielfältigen Möglichkeiten an Erwerbstätigkeiten Bescheid wissen?
Auch der Umstand der Langzeitstudierenden (oftmals wegen der Nichteinhaltung der Mustercurricula) sowie die hohe Anzahl der nicht prüfungsaktiven Studierenden sind nicht zu leugnen. Gerade hier müssten aber wissenschaftlich fundierte Untersuchungen ansetzen und vor allem deren Ergebnisse umgesetzt werden, um die offenkundig vorhandenen systemischen Fehler zu beseitigen. Es fallen im Wesentlichen jene Abweichungen und Defizite auf, die aus dem sekundären Sektor herrühren (etwa die Lesekompetenz). Die von uns vielfach geforderte Reform des sekundären Systems ist längst überfällig.
Auch ist die Politik gefordert, ein Klima zu schaffen, in dem es erstrebenwert ist, nicht nur ausgebildet sondern auch gebildet zu sein. Es muss eine Zeit kommen, in der es „cool“ ist, über Mathematikkompetenzen zu verfügen. Derzeit scheint an unseren Schulen das Gegenteil der Fall zu sein. Diesen Defiziten bei SchulabsolventInnen haben offenkundig mache Fächer insofern Rechnung getragen, als sie in die STEOP „leichtere“ Fächer zulasten „universitärer“ Inhalte (wegen der ECTS-Verteilung) aufgenommen haben, um zu vermeiden, nach der STEOP ohne Studierende dazustehen. Mit dem für Österreich typischen erhobenen Zeigefinger wird es allerdings kein Auslangen haben.
Aus unserer Wahrnehmung hat die STEOP insbesondere MINT-Fächern geschadet. Jene, die es im MINT-Bereich probieren wollten, werden nun zusätzlich abgehalten. Hier müssen zuerst die erforderlichen – naturwissenschaftlichen – Vorkenntnisse nachgereicht werden, denn auch nach unserer Meinung darf niemand einen akademischen Abschluss erwerben, dem die Grundlagen eines Studiums fehlen. Ob hier eine Besserung durch die Zentralmatura zu erwarten ist, wird sich weisen.
Selbstverständlich müssen auch die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen für die Studierenden mit berücksichtigt werden, wie die Erwerbstätigkeit zur Finanzierung des Studiums. Hier fallen dann zwei Effekte zusammen: Langzeitstudierende und Arbeitsmarkt¬belastungen. Dass dies von der Politik nicht erwünscht ist, ist nachvollziehbar. Vorschläge für die wirksame Abhilfe dieser Belastungen sind von Seiten der Politik aber nicht erkennbar.
Der ULV hält nichts davon, die für dieses System nicht fitten Studierenden mittels STEOP hinaus zu prüfen. Hier wird auch den Erkenntnissen der Pädagogik und Psychologie, Ergebnisse der Institutionen, an die sich die Jugend wendet, zuwider gehandelt. Dass gerade die UniversitätslehrerInnen hier die Daumenschrauben anlegen müssen, ist aus unserer Sicht sehr schmerzlich. Unsere Vorbehalte gegen derartiges Hinausprüfen (gilt auch für die Aufnahmetest an den Medizinischen Universitäten) bestehen unter anderem darin, dass hier im Wesentlichen die Eignung für ein bestimmtes Studium abgefragt wird und nicht für einen bestimmten Beruf. Aber auch hier gilt, dass es jungen Menschen nicht zugestanden wird, sich in ihrer Persönlichkeit weiter zu entwickeln. Es müssen im Alter von 18-20 Jahren bereits alle Eignungen und Kompetenzen offensichtlich sein! Aber wie verhält es sich mit den Schlagworten des lebenslangen Lernens und mit der im zunehmenden Maße erforderlichen Flexibilität? Auch dies muss geschult und geübt werden. Aber ab welchem Alter? Man ist geneigt mit Zynismus zu kommentieren: Bereits im Kindergarten!
Insgesamt ist aus unserer Sicht festzustellen, dass mit der STEOP in der derzeitigen Form jungen Menschen signalisiert wird, dass sie eigentlich an den Universitäten unerwünscht sind. So werden High-Potentials der Gesellschaft zu Grunde gerichtet und der Wirtschaftsstandort Österreich nachhaltig geschwächt.
Für den UniversitätslehrerInnenverband
Christian Cenker und Anneliese Legat
Graz, Wien, März 2012